In Deutschland und in Europa werden wir laut WHO innerhalb von 20 Jahren einen Anstieg der jährlichen Krebsfälle um 20 Prozent erleben. Aufgabe der Krebsforschung ist es, für die steigende Anzahl von Patientinnen und Patienten eine effektive Prävention sowie Früherkennung bis hin zu innovativen Diagnoseverfahren und wirksamen Behandlungsoptionen zu entwickeln.
Um in diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen, nutzt man im Deutschen Krebsforschungszentrum auch heute schon alle verfügbaren Methoden und Modellsysteme: Mitarbeitende forschen an Molekülen und Proteinen, an Zell- und Gewebekulturen, an Gewebeproben, Organoiden und mit Computermodellen. Auch epidemiologische und bildgebende Untersuchungen liefern wertvolle Ergebnisse. Doch Krebs ist eine Krankheit, die den ganzen Körper betrifft. Beim Wachstum und bei der Ausbreitung des Tumors tritt die Krebszelle in engen Kontakt mit zahllosen anderen Zellen und Geweben des Körpers. All diese Wechselwirkungen tragen maßgeblich zur Entstehung und zum Verlauf einer Krebserkrankung bei. Die Erforschung dieser hohen Komplexität lässt sich zum einen nicht an einen festen Zeitplan binden und zum anderen nur in einem intakten Organismus abbilden, sodass wir in der Krebsforschung nicht in absehbarer Zeit auf Untersuchungen an Tieren verzichten können.
- "Ohne Blut- und Lymphgefäße könnte sich Krebs nicht im Körper ausbreiten und keine Metastasen bilden. Daher untersuchen wir die molekularen Wechselwirkungen, über die Tumorzellen mit den Zellen der Gefäßwände in Kontakt treten. So wollen wir herausfinden, wie sich dieser unheilvolle Vorgang unterbrechen und das Fortschreiten von Krebserkrankungen aufhalten lässt. Wir arbeiten zu diesem Zweck seit mehr als 25 Jahren mit sogenannten vaskulären Organoiden. Das sind dreidimensionale Zellkonstrukte, mit der wir den Aufbau der Gefäßwand in der Kulturschale nachahmen. Tatsächlich können wir damit viele Fragestellungen beantworten. Aber die Komplexität der Wechselwirkungen von Zellen im Gesamtorganismus während der Metastasierung und unter dem Einfluss der Blutzirkulation lässt sich in der Zellkultur nur bedingt nachstellen. Daher sind wir weiterhin darauf angewiesen, Metastasierung auch in Mäusen zu untersuchen. Unsere Ergebnisse aus mehreren Jahrzehnten an Forschung in Zellkultur und in Mäusen habe sich vollumfänglich im Menschen bestätigt."
Hellmut Augustin,Leiter der Abteilung Vaskuläre Onkologie und Metastasierung DKFZ
Ein herausragender Erfolg für innovative Krebsforschung – der ohne den Einsatz von Tierversuchen nicht möglich gewesen wäre – ist die Entwicklung der Immun-Checkpoint-Inhibitoren: Die auch als „Immuntherapie" bezeichneten Wirkstoffe wurden 2018 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Mit diesen innovativen Medikamenten werden teilweise spektakuläre Erfolge erzielt, und sie geben vielen Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer bemerkenswerten Wirksamkeit neue Hoffnung in ihrem Kampf gegen Krebs.
Die rechtliche Verpflichtung, den Einsatz von Tieren zu ersetzen, wenn neue tierversuchsfreie Methoden zur Verfügung stehen, ist bereits fest in den EU-Rechtsvorschriften verankert und ermöglicht ein schrittweises und damit sinnvolles Vorgehen Hand in Hand mit dem wissenschaftlichen Fortschritt. Die bestehenden gesetzlichen Vorgaben für die Durchführung von Tierversuchen sehen zu Recht eine äußerst strenge Abwägung von Nutzen und Schaden für die Tiere sowie für die ethische Vertretbarkeit der Tierversuche vor.
- "In unserem Labor suchen wir unter anderem nach Wegen, das Wachstum von Glioblastomen aufzuhalten. Das sind sehr bösartige Hirntumoren, die nach der Operation fast immer wieder zurückkehren. Wir wollen wissen, welche Wirkstoffe den Tumor aufhalten oder ihn durch das Immunsystem angreifbar machen können. Diese Untersuchungen führen wir an so genannten „tumor explants" durch. Das sind Tumorgewebeproben, die bei der Biopsie gewonnen wurden und die wir in der Kulturschale eine Woche lang am Leben halten können. Mit diesem experimentellen Modell können wir wichtige erste Ergebnisse erzielen. Aber eine Woche ist viel zu kurz um zu erkennen, welche Wirkung die Testsubstanz über einen längeren Zeitraum hat. Um die Wirkung auf den Tumor über eine längere und aussagekräftigere Zeitspanne beurteilen zu können, sind wir auf Versuche an Mäusen angewiesen."
Ana Martin Villalba, Leiterin der Abt. Molekulare Neurobiologie DKFZ
Tierversuche dürfen nur von Personal mit entsprechend nachgewiesenen Kenntnissen durchgeführt werden und bedürfen der vorherigen Beantragung und Genehmigung durch die Behörden. Sie unterliegen dem deutschen Tierschutzgesetz, einem der strengsten der Welt, sowie einer ständigen und engmaschigen Kontrolle durch Tierschutzbeauftragte, Veterinärämter und Kommunen.
Der verständliche Wunsch und die Forderung, Tierversuche vollständig zu ersetzen, ändert jedoch nichts an der Realität dessen, was heute wissenschaftlich möglich ist. Auch die Entwicklung von Alternativmethoden würde ohne Tierversuche verzögert, da diese letztlich immer gegen Untersuchungen an Tieren geprüft werden müssen. Der Übergang zu einer tierversuchsfreien Forschung kann nur stattfinden, wenn ein vollwertiger methodischer Ersatz zur Verfügung steht.
Dafür bedarf es weiterhin großer Anstrengungen in der biomedizinischen Grundlagenforschung. Dieser Verantwortung, mit den damit verbundenen Herausforderungen, stellen wir uns.
- „Für Krebs bei Kindern gibt es im Vergleich zu Erwachsenen nur wenige innovative Therapieentwicklungen. Deshalb konzentrieren wir uns am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) u.a. auf die Entwicklung neuer Diagnose- und Therapieansätze speziell für junge Krebskranke. Gewebeproben, die im Labor zu Minitumoren heranwachsen, nutzen wir bereits als patientenspezifische Testmodelle, um Wirkstofftests im Hochdurchsatzverfahren mit zahlreichen Medikamenten gleichzeitig durchführen zu können. Kinder, bei denen die Standardtherapien nicht mehr wirken, können wir so möglicherweise eine weitere Behandlungsmöglichkeit eröffnen. Um aber neue Therapien für Krebs bei Kindern spezifisch entwickeln zu können, muss deren Wirkung und auch deren Nebenwirkungen auch in geeigneten Tiermodellen untersucht werden. Im Gegensatz zu den Minitumoren werden die Therapeutika in Tieren verstoffwechselt, deshalb können wir beispielsweise nur auf diese Weise Wirkspielgel im Tumor beurteilen oder auch die toxischen Nebenwirkungen auf einen jungen, sich noch entwickelnden Körper abschätzen. Wenn dieser Schritt gänzlich übersprungen würde, müssten wir die krebskranken Kinder direkt diesen potentiellen Gefahren aussetzen."
Stefan Pfister, Direktor Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg und Abt.leiter Pädiatrische Neuroonkologie DKFZ
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"Unser Labor entwickelt Miniaturorgane, sogenannte Organoide und Organ-Chips, um das Verhalten menschlicher Tumoren zu modellieren. Dadurch können wir zielgerichtete Therapieansätze für Patienten entwickeln und sogar komplexe Zusammenhänge, wie den Einfluss von Bakterien auf die Krebsentwicklung, im Detail studieren. Durch diese neuartigen Ansätze gewinnen wir eine wichtige patientenzentrierte Perspektive und können Tierexperimente immer weiter reduzieren. Dennoch lassen sich einige Krebsprozesse aktuell weiterhin nur an Mäusen umfassend abbilden. Organoidforschung und Tierexperimente stehen sich nicht als Gegensätze gegenüber, sondern ermöglichen im Zusammenspiel die Entwicklung neuer Krebstherapien."
Jens Puschhof, Forschungsgruppenleiter Epithel-Mikroumgebung-Interaktionen, Abt. Mikrobiom und Krebs DKFZ